Die Entscheidung ob man es bei Oliver Janichs „Vereinigte Staaten von Europa“ mit brisanten Enthüllungen oder Verschwörungstheorien zu tun hat, fällt schwer. Lesenswert ist es aber trotzdem.
Oliver Janich ist mir erstmals als gerade zurückgetretener Vorsitzender der Partei der Vernunft aufgefallen. Damals hieß es, den Rücktritt habe er vollzogen, um die Partei gegen Angriffe zu schützen, die sich eigentlich gegen ihn richteten, weil er ein „Verschwörungstheoretiker“ sei. Zwischendurch habe ich mich wenig mit ihm befasst, jetzt ist er mir wieder aufgefallen, weil er im Lied Die Wahrheit von Xavier Naidoos Projekt „Straßenunterhaltungsdienst“ erwähnt wird. Naidoo empfiehlt neben Murray Rothbard die Lektüre von Janichs Vereinigte Staaten von Europa mit den Worten: „So seh ich’s auch.“
Vor dem Hintergrund bin ich zwar mit etwas langen Fingern aber doch positiver Grundeinstellung an das über 400 Seiten starke Werk herangegangen. Und als kurzes Fazit vorab: Mein Eindruck ist durchwachsen.
Janich schreibt an einer Stelle, in der es um die katholische Kirche geht, in einer Klammer: „Vermutlich bin ich jetzt bei allen katholischen Libertären unten durch. Wenn Sie die also bei den positiven Rezensenten vermissen, wissen Sie warum.“ Und in der Tat war ich auf dieser Seite 417 kurz geneigt, das Buch wegzulegen – den Eindruck hatte ich aber bereits vorher und so kurz vor dem Ende wollte ich nun auch nicht mehr aufgeben.
Dabei ging das Buch in meinen Augen fulminant mit einer prägnanten Einführung in das Gedankengebäude des Libertarismus los. Wer sich also in dieser Hinsicht ein bisschen das Hirn durchpusten lassen möchte, der ist hier genau richtig. Anschließend geht Janich aber daran, herauszufinden, warum diese (vermeintliche) einfache Vernunft des Libertarismus sich eigentlich nicht durchsetzt.
Und dann fällt es an vielen Stellen schwer, ihm zu folgen. Das hat zwei wesentliche Ursachen. Eine ist eine mehr formale: Das Buch kommt nicht mit weniger als 1017 Erläuterungen und Literaturhinweisen in den Anmerkungen aus. Das deutet einerseits auf eine erhebliche Fleißarbeit hin, macht es aber für den Leser schwer, den Wahrheitsgehalt des Gesagten wirklich zu prüfen. Dabei wäre gerade das notwendig, wenn die EU als ein Produkt der Naziplanungen, einer Weltverschwörung, die Vereinigten Staaten von Europa bis zum Ural als Vision von Geheimgesellschaften, Logen und Psychopathen beschrieben wird und die meisten dort genannten Politiker entweder als feindliche Agenten, Verschwörer oder nützliche Idioten einer sozialistischen Weltrevolution gebrandmarkt werden.
Janich bezieht sich auf eigene Recherchen, Internetquellen, die ein Laie der einer geregelten Arbeit nachgeht, kaum nachvollziehen kann, diskreditiert die Mainstreammedien ebenfalls als Teil der Verschwörung – jedenfalls deren Köpfe – oder als Unwissende. Das hindert ihn aber nicht, selbst Spiegel oder ZEIT an den Stellen zu zieren, bei dem ihm die Argumente entgegen kommen. Das ist – da haben Fans des Buches sicher recht – aber kein Beweis dafür, dass die Dinge, die er vorbringt falsch wären. Sie werden mir nur nicht plausibel.
Damit sind wir beim zweiten Aspekt, der die Lektüre von der Vereinigten Staaten von Europa erschwert: Man will es nicht glauben. Willi Brandt ein KGB-Agent? Henry Kissinger ein Doppelagent? Angela Merkel immer noch im Dienst der Geheimdienste? Das Weltgeschehen gesteuert durch die Rockefellers und Bilderberger und einem kleinen Kern von Mächtigen in einer korporatistischen Wirtschaft? Das alles gestützt durch ein mafiöses Geflecht von Medien, Logen und auch religiösen Vereinigungen, die sich einer New World Order, einer Neuen Weltordnung, was angeblich nichts anderes als eine neue Weltregierung heißt, verschworen haben?
Da kriegt auch die katholische Kirche ihr Fett weg, der mit einem Luther- und einem einzelnen Bibelzitat ein antichristliches Streben nachgewiesen werden soll, die inhärent böse und in all die Machenschaften vom Kopf her verstrickt sei. Papst Benedikt, soviel gesteht Janich vielleicht auch als Annäherung an libertäre Katholiken, die dem Papa emeritus näherstehen dürften als der aktuelle Papst, sieht er eher als Opfer dieser Machenschaften, gegen die er sich nicht habe wehren können, weswegen er aus Angst um sein Leben auch zurückgetreten sei.
An diesen wenigen Einblicken lässt sich ablesen: Das Buch ist eine Achterbahnfahrt, und wenn man den Begriff der Verschwörungstheorie mal neutral betrachtet, also als die Annahme, dass hinter vielen weltpolitischen Geschehen eine Verschwörung stecken könnte, dann ist es quasi ein Kompendium dieser Weltsicht. Da stellt sich die Frage für einen politisch interessierten Menschen, einen konservativen und papsttreuen Katholiken allzumal, wie er mit dem Buch umgeht. Die Textnachweise zu widerlegen wird schon ob der Masse schwerfallen, und ich gehe auch nicht davon aus, dass Janich in seinem Buch gelogen hat.
Wovon ich allerdings überzeugt bin ist, dass er die falschen Schlüsse zieht. Janich weist auf Indizien hin, bei deren massiven Auftreten er mehr als einmal die Frage stellt „Alles Zufall?“, und man ist geneigt ihm zuzustimmen, dass da mehr dahinterstecken muss. Andererseits konstituieren alle seine Belege keine eindeutigen Beweise im Sinne einer falsifizierbaren Theorie. Als Anleitung für einen Leser, der sich mit dem Libertarismus und mit den Thesen von Janich auseinandersetzen möchte, kann ich daher nur eine Empfehlung geben: Sind die Belege, die er nennt – immer vorausgesetzt sie geben die Wahrheit wieder – tatsächlich Beweise, oder hat hier jemand basierend auf der Theorie einer Weltverschwörung nach Indizien gesucht, die dafür sprechen?
Ich bin genau zu diesem Schluss gekommen, was aber wiederum keinen Beweis gegen seine Thesen liefert. Für mich ist der Nachweis der Weltverschwörung mit Janichs Buch nicht geliefert, was erstens nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt, und zweitens nicht bedeutet, dass einzelne Indizienhinweise nicht richtig sein könnten. Ob also Willi Brandt ein sozialistischer Agent war? Möglicherweise, vielleicht sogar naheliegend. Haben so manche Vertreter der Großfinanz viel mehr sozialistische Ziele einer Weltregierung als wirtschaftliche Ziele geschweige denn so etwas wie das Wohl der Gesellschaft im Hinterkopf? Kann schon sein. Gibt es unter kirchlichen Würdenträgern solche, die sich zu nah an die Mächtigen dieser Welt heran schmeißen, vielleicht auch Kontakte zur Mafia pflegen? Dafür würde ich fast meine Hand ins Feuer legen. Und letztlich, einen Kernpunkt der Argumentation Janichs aufgreifend: Befördert ein korporatistisches Wirtschaftssystem das Auftreten von manipulativen Psychopathen in den Chefetagen? Ja sicher!
Diese Fakten und Theorien schnürt Janich nun aber zu einem Gesamtkonstrukt, dem man durchaus skeptisch gegenüber stehen kann und sich – noch einmal – die Frage stellen kann: Beweist er etwas oder stellt er passende Indizien zusammen?
Den Mehrwert des Buches sehe ich aber – neben den Einführungen in den Libertarismus – gerade in diesen Punkten: Es fällt schwer, nach der Lektüre der Vereinigten Staaten von Europa noch alles einfach abzunicken, was Politik und Medien einem so vorstellen. Man stellt seine eigenen Schlüsse in Frage hinsichtlich dessen, woher die Informationen kommen, auf denen sie basieren und welche Beweggründe die Lieferanten haben könnten. Die von ihm dargestellte Principal-Agent-Theorie stellt die Frage des Cui bono noch mal auf eine etwas andere Art und Weise.
Abgesehen von seinem Kampf gegen die katholische Kirche oder die Jesuiten ist dahingehend auch das letzte inhaltliche Kapitel des Buches mit dem Titel „Der größte Trick des Teufels“ eine Fundgrube, stellt Janich hier doch auch die Frage nach einem geistlichen Hintergrund des Weltgeschehens. Er argumentiert mit Gut und Böse – und als Christ sieht man den spirituellen Kampf greifen, den man vermutet, wenn man sich fragt, warum bestimmte Entwicklungen so und nicht anders stattfinden und offenbar politisch und medial gefördert werden.
Ich denke, mit der oben beschriebenen „Anleitung“ ist Die Vereinigten Staaten von Europa“ eine lesenswerte Lektüre. Kurz gesagt: Man muss auch nicht alles glauben, was er sagt, sollte sich nicht einschüchtern lassen, wenn Janich Abweichungen von seiner Sichtweise mangelnder Einsicht zuschreibt und kann gnädig über allzu schnell konstruierte Schlüsse über die katholische Kirche hinweggehen. Dann ist das Buch auch für den konservativen Katholiken eine Bereicherung (womit ich die Einschätzung Janichs, man werde positive Rezensionen unter katholischen Libertären vermissen, zumindest in Teilen widerlege).
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Cicero
Merke:
Nur weil Du nicht paranoid bist, heißt das noch lange nicht, daß S I E nicht hinter Dir her wären!
Ich tue mich mit Verschwörungstheorien grundsätzlich etwas schwer.
Die großen Verschwörungen dürften schon allein deshalb nicht funktionieren, weil es zu viele kleine Verschwörungen gibt, die der einen großen entgegen wirken.
Anders gesagt: Es gibt im Zweifel immer einen der quatscht.
Und in jeder Verschwörerclique gibt es immer mindestens einen, der den amtierenden Boss beseitigen will, um sich selber an die Spitze zu stellen. Dazu muß er fraktionieren, weil einige am alten Boss festhalten wollen werden.
Und schon platzt die ganze schöne Verschwörung, weil die Truppe daran zerbricht.
Mein Fazit bei allen Verschwörungstheorien: Wäre der Mensch, erst recht ein Mensch, der Macht hat und ausüben will, so altruistisch, sich zum erreichen eines größeren, höheren Zieles auf Dauer zurück zu nehmen und in ein großes Ganzes einzufügen, dann hätten wir schon längst ein kleines Paradies auf Erden.
Umgekehrt, wäre kein Mensch so mutig, gegen einen großen despotischen Oberverschwörer die Revolte zu versuchen, wäre die Welt schon längst die reine Hölle.
Die von Gott geschaffene Veranlagung des Menschen, das Gute zu suchen und die durch die Erbsünde gebrochene Natur des Menschen, immer wieder der Versuchung des Bösen zu erliegen, verhindern am Ende dann doch zuverlässig das Gelingen einer großen Verschwörung.
Und trotzdem glaube ich, das S I E mich beobachten. ;-)
Papsttreuer
Zur Analyse des Entstehens von Verschwörungen eignet sich das rezensierte Buch ebenfalls. Ich bin skeptisch, ob es sie tatsächlich in der Form gibt, interessant zu lesen und auch, um sich selbst zu prüfen, welche Informationen man möglicherweise un- oder zu wenig geprüft für bare Münze nimmt, ist das Buch aber eben allemal.
Übrigens formuliere ich selbst immer: Dass Du paranoid bist, heißt nicht, dass S I E nicht hinter Dir her wären! :-)
Viele Grüße und Gottes Segen!