Die Frage, ob Deutschland katholisch ist und was es davon hat, beantwortet das Buch von Andreas Püttmann. Leider belässt er es nicht dabei.
Kann man eigentlich ein Buch fair rezensieren, dessen Autor einem in sozialen Medien, also quasi in der Öffentlichkeit, einen „irritierten ethischen Kompass“ (ausgerechnet für diesen Beitrag) attestiert und ihn als einen „öffentlichen Katholikendarsteller“ (für ein zugegeben drastisches Facebookposting, das ich heute auch anders formulieren würde) tituliert hat? Man darf Zweifel haben, daher habe ich mich auch entschieden, diese beiden prägnanten Ereignisse (es gab noch ein paar mehr, darunter durchaus konstruktive; wer mag, kann diesen Blog einfach nach dem Namen „Püttmann“ durchsuchen) der „gemeinsamen“ Vergangenheit des Politikwissenschaftlers und Publizisten Andreas Püttmann mit dem Autor dieser Zeilen, an den Anfang dieses Beitrags zu stellen. Dabei geht es mir nicht um das Aufwärmen dieser alten Zwistigkeiten, sondern lediglich darum, eine gewisse Voreingenommenheit gar nicht erst abstreiten zu wollen.
Empirische Analysen und Zeitzeugen
Andreas Püttmann hat also ein Buch geschrieben: „Wie katholisch ist Deutschland … und was hat es davon?“ Das Buch, so der Klappentext, beleuchte auf empirischer Grundlage konfessionelle Unterschiede, Konkurrenzen und gemeinsame Herausforderungen der Kirchen in Deutschland. Das, soviel sei gesagt, tut das Buch tatsächlich, und auch auf eine unterhaltsame Weise. Die unterschiedliche Entwicklung der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, vor allem kurz vor, im und seit dem zweiten Weltkrieg, wird untersucht, wobei die statistische Bedeutung gerade der katholischen eine durchaus wechselhafte Geschichte hinter sich hat. Dabei arbeitet der Autor (nicht nur mit Zahlen sondern auch mit Zeitzeugenzitaten aus Politik und Wissenschaft) nicht nur die Position einer Kirche als „kognitiver Minorität“ heraus, die aber durchaus Zukunftschancen hat. Interessant ist auch, an welchen Stellen katholische Überzeugungen in der Gesellschaft und – vor allem – unter Mitgliedern der katholischen Kirche selbst, diese Nation geprägt haben und noch weiter prägen.
In der Tat handelt es sich bei den ersten beiden Abschnitten des Buches aber im Wesentlichen um statistische Feststellungen und ihre Interpretation, letztere meist nicht vom Autor selbst sondern aus Kirchen-, Politik- und anderen namhaften Vertretern der Gesellschaft. Püttmann stellt dabei neben allerlei Zahlenwerk im ersten Teil auch heraus, dass „Beliebtheit und ‚Zeitgemäßheit‘ nicht nur normativ kein Maßstab für eine christusförmige Kirche sein dürfen, sondern auf längere Sicht nicht einmal eine Erfolgsgarantie für Bindungskraft und gesellschaftliche Akzeptanz einer Kirche sind.“ Dies vielleicht auch an die Adresse der Protestanten, deren Kirche, im Vergleich zum „angeschlagenen Boxer“ (gemeint ist die katholische Kirche) „dem Boden schon näher ist.
Wiederverwertet?
Im Wesentlichen sind es also Zahlen und Zitate, die diesen ersten Buchabschnitt prägen, während der Autor bei einem kurzen Ausflug in die – eigentlich erst im dritten Buchabschnitt deutlicher zu Tage tretenden – Kritik an manch innerkirchlicher Entwicklung (Stichwort „Rechtskatholiken“) der Versuchung nicht wiederstehen konnte, einen eigenen Beitrag aus der Zeitung „Christ und Welt“ vom 26.03.2014 fast vollständig wortgleich zu zitieren. Überhaupt kommt man bei dem genutzten Zahlenwerk und den dazu gelieferten Einschätzungen nicht um den Eindruck herum, inhaltlich einiges noch einmal vorgestellt zu bekommen, was Püttmann bereits in seinem 2010 erschienen Buch „Gesellschaft ohne Gott: Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands“ genutzt hat – freilich angereichert um seither neu erschienenes Material. Das, so möchte ich ergänzen, muss aber nicht schlecht sein, weil Blickrichtung doch eine andere ist als im vorherigen Werk.
Nutzen und Nützlichkeit
Nachdem man also als Leser einen Eindruck davon bekommen hat, wie katholisch Deutschland eigentlich noch ist (kurz gesagt: katholischer als manche annehmen und nicht wenige fürchten) erläutert Püttmann im zweiten Teil die „Vorteile“ dieser Konfession für die Gesellschaft. Offen geht er damit um, dass man hier schon so etwas wie einen „Nützlichkeitsgedanken“ des Glaubens hineininterpretieren könnte. Dennoch teile ich die Auffassung des Autors, dass auch eine solche Sicht aus politischer oder gesellschaftlicher Perspektive erlaubt sein muss. Eine Religion – umgekehrt – die dem Gemeinwesen mehr schadete als nutzt, muss sich deutlich hinterfragen lassen.
Dabei kommt Püttmann zu dem Schluss, dass auch statistisch gesehen gesellschaftlich erwünschte Positionen – als Libertärer mache ich da an manche ein Fragezeichen, aber das soll hier nicht weiter das Thema sein – in der katholischen Welt stärker wiedergespiegelt werden als in der protestantischen oder säkularen: Lebensschutz, Rechtsgehorsam, freiwillige Gemeinwohlförderung, Familienorientierung und Toleranz gegenüber anderen Religionen und Lebensweisen findet man – hier ein wenig pauschaliert, im Buch detailliert dargestellt – im katholischen Umfeld stärker als anderswo. Genauso gehören das erhöhte Maß an „transzendentem Atmen“ zum Nutzen einer Gesellschaft wie auch – was den Außenstehenden erstaunen mag – die „katholische Lebensfreude, Sinnlichkeit und Feiertagskultur inklusive des Karnevals“. Kein Grund also, sich zu verstecken – im Bewusstsein allerdings auch aller Gründe zur Demut, die im Buch auch benannt werden.
Verlassen der Neutralität
Damit wären wir beim dritten Teil des Buches, in dem es nach der Fragen, wie katholisch Deutschland sei (Teil I.) und was es davon habe (Teil II.) um das Thema „Kirche und Demokratie vor neuen Herausforderungen“ geht. Leider verlässt der Autor hier den für ihn vermutlich sicheren Hafen der erläuterten Statistiken. Stattdessen geht es – wie wohl nicht anders zu erwarten war – um die Frage, wie eine sich einbunkernde Kirche den Boden ihrer eigenen Glaubensgrundsätze verlässt, bzw. wie einzelne Mitglieder und Vertreter der Kirche das tun. Nur wird hier eben nicht mehr einfach zitiert sondern polemisiert: Es wird vom „geifern“ und „höhnen“ gesprochen, Kommentare kommen nicht mehr ohne die Einleitung aus, dass in ihnen „fabuliert“ würde.
Einen Narren gefressen hat Püttmann dabei offensichtlich an einer vergleichsweise kleinen Zahl bekannterer Akteure, wie Birgit und Klaus Kelle, Pater Wolfgang Ockenfels, Alexander Kissler oder – immerhin nicht nur in der Fußzeile sondern im Text genannt – dem katholische Blogger Peter Winnemöller. Deren Positionen werden munter vermengt mit denen eines Hans-Thomas Tillschneider (AfD) oder eines Götz Kubitschek (Sezession, Institut für Staatspolitik), was wohl eine deutlichere Meinungsüberschneidung andeuten soll, als sie in Detailthemen vorhanden sein wird. Leider finden sich auch eine Menge an angedeuteten Zitaten, die durch die fehlende Benennung von Ross und Reiter ihre Nachvollziehbarkeit verlieren. Das alles, so möchte ich konzedieren, kann man in einem Kommentar sehr wohl so halten (auch wenn ich inhaltlich in den meisten Einschätzungen nicht übereinstimme), wird aber den einleitenden Kapiteln nicht gerecht.
Was interessant gewesen wäre
Hier hätte man stattdessen eine wirklich harte Definition eines (angeblichen oder echten) Rechtskatholizismus sowie des Rechtspopulismus erwarten können, mit ihren Nutzen oder Gefahren für die Gesellschaft und daran anschließend eine statistische Erhebung, welche Positionen davon in welchen kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Kreisen in welchem Umfang vertreten werden. Auf diese Art erhielte man ein besseres Bild davon, ob von einem als Menetekel an die Wand gemalten Rechtskatholizismus inhaltlich und/oder als relevante kirchliche und gesellschaftliche Größe Gefahr ausgehen könnte.
So bleibt die Frage, vor welchen Herausforderungen Kirche und Demokratie stehen, ziemlich einseitig beantwortet. Die linke, mediale Meinungshegemonie ist ja nicht nur eingebildet sondern sogar statistisch nachgewiesen. Einige Irrläufer in der Verteidigung der katholischen Kirche und gefallener Würdenträger können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Umgang von Politik und Medien gerade mit der katholischen Kirche nicht gerade von Fairness geprägt ist. Die Einsicht, dass es sich bei der Demokratie um eine der besten Staatsformen handelt, kann gerade in der heutigen Zeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere parlamentarische Demokratie ihre Schwächen hat. Püttmann selbst weist an einigen Stellen auf diese Fehlentwicklungen hin, will sie aber offenbar nicht unter die „Herausforderungen von Kirche und Demokratie“ subsummieren. Den Kritikern dieser Fehlentwicklungen Demokratiefeindlichkeit vorzuwerfen passt darum vielleicht in ein politisch linkes Revolverblatt, wird dem Anspruch, den Püttmann in den ersten beiden Teilen des Buches selbst grundgelegt hat aber nicht gerecht.
Schade
Was bleibt als Fazit? Andreas Püttmann ist in den ersten beiden Abschnitten ein erhellendes Sachbuch gelungen, kurzweilig zu lesen und ausgewogen in der Kritik an Geschichte der katholischen Kirche. Diese beiden Teile können sowohl von liberalen wie konservativen Katholiken mit Gewinn gelesen werden und räumen auf mit dem ein oder anderen Fehlurteil, das man mit Zahlen und Fakten widerlegen kann. Den dritten Teil … nun ja, es hätte ihn nicht gebraucht und mindert den Wert des Werkes nicht unerheblich.
Werbung möchte ich darum für das Buch nicht machen, kann es aber nur den Lesern überlassen, ob sie der Meinung sind, trotz meiner einleitenden Worte wäre dies eine faire Rezension geworden.
Gerd
Püttmann reiht sich ein in die Schar die hinter jedem AFD Wähler einen Rechtsradikalen wittert. Das ist mittlerweile so abgenutzt, dass es nur noch langweilt. Die Frage wie katholisch Deutschland ist, geht total am Thema vorbei. Wie gläubig die katholischen Deutschen sind, wäre schon eher ein Thema. Ich persönlich kenne zig Katholiken die null Ahnung von ihrem Glauben haben und mir allerdings vorwerfen AFD Wähler (also rechts) zu sein, weil ich die Zuwanderungspolitik unserer Regierung für problematisch halte,mit dem Argument, es wäre nicht im Sinne Jesu Motive von Flüchtlingen zu hinterfragen. Außerdem hätte ich das Prinzip der Nächstenliebe nicht verstanden. Es bleibt mir nur die Feststellung des Herrn: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in die Grube fallen?
Papsttreuer
Zur Verteidigung Püttmanns muss ich sagen, dass es vor allem im ersten Abschnitt des Buches genau um die Einstellungen auch zur kirchlichen Lehre unter den Katholiken (genau so wie unter Protestanten und anderen) geht. So sind meine Erläuterungen zu diesem Teil zu verstehen. Nicht überraschend ist dabei, dass viele Katholiken nur noch bedingt hinter einzelnen Lehren Jesu und der Kirche stehen … aber das im Detail in einer Rezension zu erläutern hieße, das Buch halb abzuschreiben.
Von daher: Auf den dritten Abschnitt des Buches trifft Ihre Äußerung zu, die ersten beiden sind weitgehend gelungen. Diese Unterscheidung muss man der Fairness halber schon machen.
Gottes Segen für Sie!
Gerd
„Dieser Essay beleuchtet konfessionelle Konkurrenzen und wagt eine kleine katholische „Leistungsschau“. Er setzt sich aber auch kritisch mit Versuchungen einer schrumpfenden katholischen Kirche auseinander und bricht eine Lanze für die Ökumene.“ (Verlagsinformation)
Die Höhe des Berges von gebrochenen Lanzen dürfte locker die Entfernung von der Erde zum Mond und zurück ausmachen. Tut mir leid, aber wenn ein Essay auf die Ökumene setzt, schalte ich einen oder mehrere Gänge zurück. Ich nenne das den „katholischen Reflex“. Man möge es mir nachsehen.
Auch ihnen natürlich Gottes Segen
Gerd Schütz
Ihre Kritik ist bei trotz der zur Schau gestellten Sachlichkeit unausgegoren, Die Schnittmengen zwischen den genannten Katholiken und rechtspopulistischen Positionen ist offensichtlich, Ockenfels tritt ja geradezu als Fahnenschwenker der AfD auf. Dass es im Katholizismus einen mit dem Evangelium unvereinbaren Vorbehalt gegenüber Fremden gibt, zeigt ein Blick nach Polen. Selbstverständlich ist also der dritte Teil des Buches der dramatisch wichtigste!
Papsttreuer
Mein Punkt dreht sich genau darum: Es werden „offensichtliche“ Schnittmengen angenommen; diese sollte man aber dann nicht anders behandeln, als man die Thesen in den ersten beiden Teilen überprüft hat, in dem Fall eben statistisch. Ist doch nicht schwer (macht aber natürlich Arbeit, die nur ein Meinungsforschungsinstitut wird leisten können):
– eine rechtspopulistische These in den Raum stellen (deren Rechtspopulismus aber bitte auch begründen)
– Deren Wiederhall in der Gesellschaft abfragen (Gesamt, „rechtes“ Wählerspektrum, Katholiken (regelm. Kirchgänger, eher Fernstehende, sich selbst als konservativ einschätzende)
– Falls möglich: Entwicklungslinien aufzeigen
Das ist der Anspruch der ersten beiden Abschnitte, und der wird im dritten Teil nicht eingelöst. Stattdessen macht Püttmann rechtspopulistische Thesen (teilweise auch nur den Dialog zwischen Katholiken und Vertretern einer solchen politischen Richtung) in einigen katholischen Peer-groups als demoktatiegefährdend aus – ohne empirischen Nachweis. Da sollte man sich schon entscheiden: Sachliche Beweisführung oder reine Meinungsmache.
Der dritte Teil hätte also der wichtigste werden können, ist aber am eigenen Anspruch gescheitert.
Gerd Schütz
Nunja, Püttmann kommt ja aus ebendiesem rechten Spektrum, das sich mit Benedetto zunehmend radikalisiert hat, und weiß was da los ist. Seine Sicht ist also per se eine Expertensicht. Er kennt die Jungs ja allesamt aus der persönlichen Begegnung, da bedarf es keiner Zahlen und Statistiken, das Phänomen Rechtskatholizismus liegt offen zutage, zumindest im Internet ;-)
Gerd
Püttmann will ein Buch verkaufen….das ist schon alles. Wenn es in unserer Stadtbücherei liegt, und das ist so sicher wie das Amen am Gebetsschluß, könnte es sein, dass ich mal einen flüchtigen Blick hinein werfe.
Ach ja, das geht auch noch: Der Begriff Rechtskatholizismus ist eine Nebelkerze die in Richtung Nullnummer tendiert.