Ist ADHS eine ernste oder eine lustige Sache? Vielleicht sollte man einen Betroffenen zur Wort kommen lassen, der es leicht nimmt.
Mit Symptomen und der Behandlung psychischer Störungen hatte ich mich bereits in einer anderen Rezension beschäftigt. Eine der Kernbotschaften damals: Nehmt ernst, wenn es um Psychosen geht. Jetzt geht es wieder um Symptome, allerdings kann man sich die Frage stellen, inwieweit es sich dabei wirklich um eine Krankheit handelt: Immer wenn von ADHS die Rede ist, verdrehen viele die Augen … ist das nicht eine „Krankheit“, die gerne bei aufgeweckten und anstrengenden Kindern diagnostiziert wird, um einen Grund zu haben, sie mit Medikamenten ruhigzustellen? Wenig bekannt ist dagegen, dass ADHS tatsächlich ein Krankheitsbild ist, dass sich auch nach der Jugend oft nicht verliert sondern in das Erwachsenenleben ausstrahlt … und wer kennt sie nicht, die „positiv Verrückten“, die Hans-Dampf-in-allen-Gassen, diejenigen, die mit Aktionismus gepaart mit nicht selten unerträglich guter Laune oder wenigstens Launenhaftigkeit ihr Umfeld in den Wahnsinn treiben.
Durcheinander
Matthias „Mad“ Köninger (wer sich einen solchen Namen gibt, verbindet damit wohl ein Programm) hat ein Buch über seine eigenen ADHS-Erfahrungen geschrieben. Verfasst ist es als Tagebuch seiner Behandlung in einer psychiatrischen Einrichtung, in die er sich freiwillig begeben hat, um seine Symptome in den Griff zu bekommen. Bis zum Schluss bleibt nach der Lektüre des Buches „Ich bin dann mal was Blödes tun“ die Frage, ob denn die Therapie wirklich erfolgreich war … und ob man sich überhaupt wünschen kann, das sie erfolgreich gewesen ist. Denn vergnüglich geht es schon zu, Anekdoten aus den Erfahrungen Köningers reihen sich wild aneinander, zusammengehalten nur durch den Faden der Therapie und vielleicht noch der privaten Krise mit der Freundin des Autors.
Der Rest ist – man kann es nicht anders sagen – ein Durcheinander von Gedankengängen und –sprüngen, die einem Nicht-ADHSler vielleicht deutlich machen, wo das Problem von ADHS liegen mag. Nicht darin, dass die Betroffenen gefährlich wären, nicht darin, dass sie ihr Leben überhaupt nicht in den Griff bekämen. Aber wenn bei der Lektüre ab und zu mal ein Gefühl des „Genervtseins“ auftaucht ob der satirischen Seitenhiebe, scheinbar abwegiger Einschübe und eben des ganzen Durcheinanders, dann bekommt man wohl einen Einblick, dass ADHS für den Betroffenen vermutlich nicht immer ein Spaß ist.
… muss man erstmal drauf kommen
Was es braucht ist einerseits das Verständnis der Umwelt, die sich die Flatterhaftigkeit auch zunutze machen kann. Köninger selbst spricht von Freunden, die seine Art zu schätzen wissen, seinen humorvollen Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Da bleibt höchstens die Frage, ob es Satire oder Zynismus ist, die bzw. der da zum Vorschein kommt, wenn Köninger über Homöopathie abledert („Die Leute, die sich für Napoleon oder Gott halten, erscheinen dann in einem viel milderen Licht, wenn man bedenkt, wie viele Menschen an Potenzieren glauben.“) oder keine Probleme hat, Schwierigkeiten mit Frauen in einen Zusammenhang mit dem Sakrament der Beichte zu bringen: „Mich erstaunt heute noch manchmal, wie mächtig die katholische Kirche gewesen sein muss. Sie hat in der Beichte wirklich Frauen dazu gebracht, eine Schuld zuzugeben! Aber nun hat die katholische Kirche ihre Macht verloren und Frauen gibt es immer noch.“ – da muss man erstmal drauf kommen.
Schnitzel und Bill Kaulitz
Drastisch wird die Wortwahl auch ab und zu („Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um irgendwen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.“) und das eine oder andere Mal ist auch eine Schlüpfrigkeit enthalten, die ich lieber nicht gelesen hätte. Man kann sich auch fragen, ob man wissen muss, dass der Autor ein Schnitzel-Fan ist oder Bill Kaulitz nicht ausstehen kann … aber interessanterweise wird das alles niemals langweilig.
Ich bin nicht sicher, ob ich einen „Mad“ Köninger den ganzen Tag um mich haben möchte, aber ihm ist jedenfalls ein amüsanter Einblick in seinen Kopf gelungen, der sich nicht damit aufhält, die Schwierigkeiten, die die ADHS-Symptome einem bereiten können, zu bedauern, sondern deutlich macht, dass Betroffene an sich arbeiten können, ohne die positiven Effekte zu unterdrücken. Und wenn einem das nicht reicht, dann ist es immer noch ein kurzweiliges Buch, das ich einfach gern gelesen habe (wobei, wie der Autor selbst zugibt, ein bisschen mehr Lektorat gut getan hätte).
Lehrer Lämpel
Unsere große Enkelin hat ADHS. Wurde in der Uni-Klinik nach sorgfältiger Untersuchung vor vielen Jahren eindeutig diagnostiziert. Sie kriegt seitdem entspr. Medikamente, hat letztes Jahr ein gutes Abi gemacht und studiert seit letztem Herbst. Äußerlich ist ihr nichts anzumerken – eine frische junge Frau.
Mad Köninger
Das finde ich gut, achja und äußerlich sieht man es mir auch nicht. Ich habe keine Ziegenfüße und hatte beim letzten Nachzählen auch zwei Ohren und eine Nase und 11 Finger.
Lehrer Lämpel
Unsere Enkelin will Grundschullehrerin für Mathematik und Sachkunde werden.
Studium und auch Schul-Praktika machen ihr bisher viel Freude – sie kommt gut mit Kindern klar und kann offenbar gut erklären aber ist auch durchsetzungsstark und liebt „klare Ansagen“ ; ist dadurch bei den Schülern beliebt. Sie ist nach eigener Aussage -u.a. dank der Medikamente – sehr strukturiert, konzentriert und fleißig, so dass sie u.a. von einer ihrer Dozentinnen fürs Nachhhilfegeben bei Flüchtlinge kinderleicht vorgeschlagen wurde, was sie auch annahm.
Probleme bereitet ihr noch sehr ihre nervlich bedingte Prüfungsangst…
Lehrer Lämpel
Sorry: statt „Flüchtlinge kinderleicht“ sollte es richtig „Flüchtlingskindern“ heißen.
Gerd
Selbst ein ADHSler bringt es fertig, die katholische Kirche in Zusammenhang mit Machtansprüchen zu bringen. So krank ist der gute nun auch wieder nicht. Oder anders herum gefragt: Wie viele Mitglieder der PGR hierzulande leiden an ADHS? Vielleicht schreib ich mal ein Buch darüber….;-)
Mad Köninger
Hallo Gerd,
der Kommentar war einfach als Spass gemeint. Das machen Satireautoren so. Natürlich hat die Katholische Kirche einen gewissen Machtanspruch aber ob das gut oder schlecht ist, habe ich im übrigen nicht erwähnt, das soll jeder für sich selbst bewerten.
Gerd
Satireautoren und katholische Kirche. Ein Thema so unendlich wie zu Enterprise Zeiten.