Mit „Totschweigen und Skandalisieren“ hat Hans Mathias Kepplinger einen interessanten Blick auf Mechanismen in den Medien geworfen. Hartes Brot für Akteure und Kritiker.
Wenn man heute über „die Medien“ schreibt, kommt entweder ein Übermaß an Verschwörungstheorien („Liz Mohn und Friede Springer bestimmen, was geschrieben wird und hören dabei auf George Soros“) dabei heraus oder eine Apologetik („Die letzten Verfechter der Demokratie“). Wie so oft beschleicht einen dabei das Gefühl, dass es bei diesen Extremen wohl nicht um die Wahrheit gehen kann. Die liegt nicht nur wie so oft in der Mitte sondern ist auch weit weniger spektakulär. Um der Thematik näherzukommen, hat Hans Mathias Kepplinger eine echte Kerner-Arbeit auf sich genommen und diverse echte Medienversagen untersucht. Herausgekommen ist dabei „Totschweigen oder Skandalisieren – Was Journalisten über ihre eigenen Fehler denken“. Dabei geht es weniger darum, ob die beschriebenen Fälle den Durchschnitt der Berichterstattung darstellen, sondern darum, wie es überhaupt zu diesen Fehlern kommt.
Repräsentative Befragung und Interpretation
Als Basis dient ihm dazu die repräsentative Befragung von Journalisten aus Tageszeitungen zu bekannten Fällen, in denen die Medien entweder in ihrer Berichterstattung über das Ziel hinaus geschossen sind („Skandalisieren“) oder ein Thema ausgeblendet haben („Totschweigen“). Dazu zieht Kepplinger Beispiele heran wie einen angeblichen, so aber nie erfolgten Hitler-Putin-Vergleich Wolfgang Schäubles, die übertriebene und durch Fakten nicht zu rechtfertigende Berichterstattung über die Risiken der Kernenergie nach „Fukushima“ (Skandalisierungen) oder die anfängliche Nichtbeachtung der Pegida-Kundgebungen oder das Verschweigen des UNSCEAR-Reports, der die Fukushima-Gefahren im Nachgang deutlich relativiert (Totschweigen).
Es würde hier zu weit führen, die Beispiele durchzudeklinieren, generell ist Kepplinger aber so vorgegangen, dass er nach einer Befragung, ob das mediale Fehlverhalten tolerierbar sei oder nicht, die Akzeptanz von Argumenten pro oder contra der fehlerhaften Berichterstattung durch die Befragten hat bemessen lassen. Unterstützt werden die Befragungen auch noch durch die Einschätzung der generellen Einstellung zu dem Thema, also zum Beispiel zum Thema Atomkraft oder – bei der Skandalisierung des Indien-Flugs des früheren Limburger Bischofs („Business Class sind wir geflogen“) – die Einstellung zu Kirche und Priestern. Darüber hinaus bewertet er die Argumente auch anhand des den Medien selbst auferlegten Pressecodex, gegen dessen Bestimmungen in den dargestellten Fällen mehr oder weniger eklatant verstoßen wurde.
Verteidigung der Deutungshoheit
Kepplinger macht durchaus darauf aufmerksam, dass das beschriebene Fehlverhalten nicht den Durschnitt der Berichterstattung darstellt, durch solche Einzelfälle aber dennoch erhebliche Folgewirkungen erreicht oder zumindest unterstützt werden, wie den deutschen Atomausstieg oder den Rücktritt eines Bundespräsidenten durch eine skandalisierende Berichterstattung über das Verhalten Christian Wulffs.
Erstaunlich ist vielleicht weniger die doch ziemlich durchgehende Ablehnung der fehlerhaften Berichterstattung durch die befragten Journalisten, sondern die Akzeptanz der Argumente, die sowohl gegen als auch für skandalisierende oder eher totschweigende Methoden gezeigt wird. An vielen Beispielen wird deutlich, dass die Befürworter eines Verstoßes gegen den Pressecodex damit ihr eigenes Weltbild verteidigen, also eine eigene Deutungshoheit in Anspruch nehmen, oder zumindest die Bringschuld von Informationen gegenüber den Lesern ablehnen, mit denen die zu einer anderen Sicht kommen könnten. Auf diesen beiden Hintergründen, so Kepplinger, beruhen letzten Endes andere Mechanismen wie die Notwendigkeit der Skandalisierung oder das Verschweigen anderslautender Argumente zur Abwehr angenommener politischer Gefahren (der Umgang mit Pegida) oder auch die Angst vor Reputationsverlusten (im Fall der Nichtberichterstattung über entlastende Argumente in der Causa Wulff). Die damit zum Ausdruck gebrachten Einstellungen gehen einher mit einem nur teilweise berechtigten Machtbewusstsein, dessen Nutzung mancher offenbar nicht widerstehen kann.
Schwarze Schafe und deren tolerante Gegner
Zum Schluss bleibt die Frage, wieso aber bei nur einer in den meisten Fällen doch nur verhältnismäßig kleinen Minderheit „schwarzer Schafe“ die Mechanismen so funktioniert haben, wie es beobachtbar war. Auch hierzu liefert Kepplinger eine einleuchtende und statistisch belegte These: Denjenigen, die keine Skrupel haben, zum Erhalt ihrer Deutungshoheit gegen den eigenen Pressecodex zu verstoßen, steht nämlich keine Phalanx überzeugter Vertreter einer glasklaren Medienethik gegenüber, sondern eine breite Schicht in dieser Frage indifferenter Journalisten (die möglicherweise mit dem konkreten Fall auch gar nicht beschäftigt waren und das Fehlverhalten kaum einschätzen konnten) und einer oft nicht minder den Argumenten pro-Codexverstoß durchaus aufgeschlossenen Gegnerschaft.
Durch diese Melange gepaart mit einem starken Korpsgeist unter Journalisten (auch dokumentiert in den geringen Berichterstattungen über Fehlverhalten von Kollegen selbst anderer Blätter) ergibt sich für die zu Regelstößen Bereiten erst die Möglichkeit, ihre Weltsicht als die herrschende Medienmeinung zu verkaufen. Aus dieser etwas trüben Mischung werden Skandale hochgekocht oder Argumente vertuscht, um das eigene – meist links-grüne – Weltbild zu stärken.
Erklärungsmuster statt „Lügenpresse“-Vorwurf
Ich möchte zur Vorsicht mahnen: Kepplingers Untersuchungen stellen ein Erklärungsmodell dar, sie sind aber nicht für alles Medienverhalten heranzuziehen. Wenig Beachtung findet bei ihm beispielsweise die generell tendenziöse Berichterstattung und Kommentierung des Weltgeschehens. Dazu kommt, dass sich seine Untersuchung auf Journalisten von Tageszeitungen beschränkt hat, Wochenzeitungen und TV blieben außen vor (Kepplinger weist darauf auch selbst mehrfach hin). Mit seinem Ansatz lässt sich also nicht alles Journalistenverhalten erklären, aber wenn Sie als Leser beispielsweise fragen, warum der Anstieg der Abtreibungszahlen in Deutschland medial quasi untergeht, dagegen über Feinstaub und Stickoxide wider besseren Wissens wahre Horrorgeschichten verbreitet werden, dann bietet „Totschweigen und Skandalisieren“ wichtige Erklärungsmuster.
Kepplingers Buch setzt auf Zahlen, möglichst neutrale Statistik und interpretiert diese. Das ist für den Leser nicht immer einfach und mancher ist vielleicht versucht, direkt zu den in die Abschnitte eingepflegten „Zwischenbilanz“-Kapitel oder ans Ende des Buches zu springen. Die Botschaft wird dabei die gleiche bleiben, es entgeht einem aber dann ein spannender Einblick in die Welt des Journalismus. Sowohl denjenigen, die undifferenziert auf die „Lügenpresse“ einprügeln als auch denen, die Journalisten generell für die besseren (oder wenigstens besser informierten) Menschen halten, sei dieses Buch darum in jedem Fall ans Herz gelegt. Den anderen, die einfach gerne wissen wollen, wie Medienversagen zustande kommen kann, sowieso.
Gerd
Keine Tageszeitung und keine Nachrichten. Die einzige Waffe der Presse hierzulande zu entkommen.
Papsttreuer
Es ist doch eher eine Frage, wie man liest … denn außerhalb von Tageszeitungen und Nachrichten (was man so Mainstreampresse nennt) sind die Quellen ja auch nicht völlig interessenfrei aufgestellt. Wollen wir doch mal nicht annehmen, dass „rechte“ Journalisten die besseren Vertreter ihrer Zunft wären als „linke“, oder?
Gottes Segen für Sie!
Gerd
„Rechte“ Journalisten? Wo? Wer? Wann?
Gottes Segen natürlich auch für sie!
Papsttreuer
Nehmen wir die Junge Freiheit – lese ich selbst gerne, bilde mir aber nicht ein, dass ich hier interessenfreie (und seien es die eigenen politischen Einstellungen der Journalisten und Redakteure) Berichterstattung sehe. Von anderen Druckerzeugnissen wie Compact oder Medien wie RT oder epochtimes oder ähnlichen ganz zu schweigen. Ob die Schubladisierung rechts/links dabei immer passt, sei mal dahin gestellt, als „Mainstream“ werden die genannten aber wohl kaum durchgehen.
Interessant sind dagegen Medien wie die eigentümlich frei aber auch Cicero: Da hat man den Luxus auch gegensätzliche Meinungen zu lesen – wo findet man das in der Ausprägung heute noch?
Gerd
„Kepplinger macht durchaus darauf aufmerksam, dass das beschriebene Fehlverhalten nicht den Durschnitt der Berichterstattung darstellt, durch solche Einzelfälle aber dennoch erhebliche Folgewirkungen erreicht oder zumindest unterstützt werden,“
Zu diesen erheblichen Folgen gehört m.E, eben genau, dass der „normale“ Presse-Nutzer, diesen Durchschnitt der Berichterstattung (auf den er ein Recht hat) nicht mehr wahr nimmt und wahrnehmen will. (Das gilt z.B. für meine Frau und mich) Wenn ich z.B. ständig darüber „informiert“ werde, dass der (hoffentlich) rechtmäßig gewählte Präsident der USA eine Dumpfbacke ist, dann steckt keine exakte Berichterstattung dahinter sondern pure Ideologie, die natürlich systematisch daher kommt. Ohne System funktioniert die beste Ideologie nicht. Ich hatte mal vor ein paar Jahren ein interessantes Gespräch mit einem Redakteur der Rheinischen Post. Dieser hatte die gezielte Abtreibung von Mädchen in Indien zum Thema eines Artikels gemacht. Auf die einfache Frage meinerseits, (telefonisch) ob es denn nicht mal anstehen würde einen Bericht über abgetriebene Mädchen in Deutschland zu bringen, so nach dem Motto, jeder kehr vor seiner Tür, versprach er mir hoch und heilig mein Anliegen in die nächste Redaktion Konferenz einzubringen……Der Artikel ist nie erschienen. Er wird auch nicht erscheinen. Das ist pure Ideologie. Nur wie ich die benennen soll, dazu fehlt mir der Verstand. Als Christ weiß ich natürlich mehr. Deswegen brauche ich keine Nachrichten.
Morgenes
„…Kepplingers Buch setzt auf Zahlen, möglichst neutrale Statistik und interpretiert diese…“
Frau Merkel sagt zu diesem Buch, das sie sicher nicht lesen wird: Nicht hilfreich!
Papsttreuer
Eigentlich ganz im Gegenteil, da das Buch keinen Beleg dafür liefert, dass es sich um politische Einflussnahme von außen handelt, sondern das Problem der Presse sich ganz aus deren Inneren erklären lässt. Das hören die, die immer noch meinen, Springer/Mohn diktierten den Redaktionen morgens ins Heft, was sie schreiben müssen, natürlich nicht gern, ist aber die deutlich bessere Erklärung als die einer die Presse einbindenden Weltverschwörung. Insofern wäre das Buch für Angela Merkel sehr hilfreich, wenn ich auch nicht annehme, dass sie es lesen wird.
Gottes Segen für Sie!
Glöckner
Das Buch liefert also keinen Beleg dafür, daß es sich um politische Einflußnahme von außen handelt?
Dazu möchte ich anmerken:
1. Könnte es ja sein, daß es diesen Einfluß trotzdem gibt, er jedoch nur sehr viel indirekter, diffiziler vonstatten geht, zum Beispiel als ein Tauschgeschäft: Story bzw. Interview gegen entsprechende wohlwollende Berichterstattung.
2. Wenn klar ist, daß das Gros der Journalisten rotviolettgrün denkt, dann ist der systemische bzw. systematische Fehler ein ideologischer!
3. Bei den aktuellen Verlaufszahlen reicht es, wenn die Chefradakteure ideologisch ausgerichtet sind, daß der Rest der Zeitung ihnen zum Munde schreibt.
4. Mittlerweile geht es auch darum, sein Blatt dem Staate als erhaltenswürdig zu präsentieren, um möglicherweise zukünftig in den Genuß staatlicher Förderung zu gelangen.
5. Wäre das Problem nicht ideologisch bedingt, blieben nur zwei mögliche weitere Erklärungen: Die Mehrheit der Journalisten wäre dann überdurchschnittlich verblödet oder überdurchschnittlich korrupt.
Papsttreuer
In der Tat liefert das Buch keinen Beweis dafür, dass es eine politische Einflussnahme NICHT gibt, es liefert auch keinen Beweis dafür, dass es andere Zusammenhänge NICHT gibt, es liefert auch keinen Beweis dafür, dass die Journalisten NICHT von Marsmännchen entführt wurden, die sie einer Gehirnwäsche unterzogen haben. Im Buch wird aber sehr deutlich nahegelegt, dass solche Zusammenhänge gar nicht nötig sind, um die Effekte zu sehen, die hier – auch das eine Einschränkung auf bestimmtes journalistisches Fehlverhalten – mit Skandalisieren und Totschweigen beschrieben sind. Die Meinung „Da steckt doch bestimmt die Merkel dahinter“ ist damit also NICHT widerlegt, im Sinne eines Ockhamschen Rasiermessers aber auch nicht naheliegend.
Wer trotzdem glauben will, dass Merkel/Springer/Soros hinter all dem stecken, der wird sich durch das Buch nicht beirren lassen. Interessant ist aber, dass beispielsweise bei den Berichten zu Fukushima eine kleine Anzahl von Journalisten, die nicht nur einem linksgrünen Weltbild fröhnen (was statistisch die meisten tun) sondern dafür auch bereit sind, journalistische Qualitätsstandards über Bord zu werfen, ausreicht, um die beobachteten Effekte zu erzielen. Das ist immer noch kein Ruhmesblatt, weder für diese Journalisten, noch für die anderen, die diese schwarzen Schafe decken und gewähren lassen. Es ist aber eine ganz andere Nummer als „staatlich gelenkte Medien“.
Gottes Segen für Sie!